Marius von Mayenburg

 

Ich schreibe Theaterstücke, weil die Bühne der Ort ist, wo ich am liebsten nachdenke. Manchmal schreibe ich, weil mich etwas ärgert, oder weil ich etwas komisch finde, und dann will ich es mit dem Publikum teilen, so wie man einen Witz weitererzählt, oder weil ich mit bestimmten Schauspielern eine schöne Zeit im Probenraum verbringen will, oder weil ich Alpträume habe, oder ein bestimmtes Stück suche, und dann finde ich es nicht, und dann schreibe ich es eben selbst. Manchmal schreibe ich, weil ich ein Spiel spielen will, manchmal weil es der Beruf ist, den ich gelernt habe, und meistens aus Gewohnheit.

Fabulamundi involved Marius von Meyenburg in activities in Târgu Mureș.

Marius von Mayenburg, geboren 1972 in München, nach dem Abitur Studium der Altgermanistik, seit 1992 in Berlin. 1994 bis 1998 Studium an der Hochschule der Künste. 1998 bis 1999 Dramaturgie-Mitarbeit an der DT-Baracke, seit 1999 Dramaturg und Hausautor an der Schaubühne am Lehniner Platz. Regiearbeit. Übersetzungen. „Kleistförderpreis für junge Dramatiker 1997“ und „Preis der Frankfurter Autorenstiftung 1997“ für Feuergesicht. Uraufführung 10. Oktober 1998 an den Münchner Kammerspielen, Regie Jan Bosse. Das Stück wurde bislang in mehr als 30 Sprachen übersetzt und weltweit inszeniert. Zahlreiche Inszenierungen auch seiner weiteren Stücke im In- und Ausland. Regiearbeiten an der Schaubühne. Marius von Mayenburg lebt in Berlin.

Theaterstücke
2006 / Augenlicht; UA: Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin
2004 / Eldorado; UA: Schaubühne Berlin 1998 / Feuergesicht; UA: Münchner Kammerspiele
2008 / Freie Sicht, Ein Schwarm; UA: Malthouse Produktion, Melbourne während des Adelaide Festivals
1999 / Haarmann; UA: DT, Berlin (Hörspiel)UA: 2001, Schauspiel Hannover
2002 / Das kalte Kind; UA: Schaubühne Berlin
2007 / Der Hässliche; UA: Schaubühne am Lehniner Platz Berlin
2008 / Der Hund, die Nacht und das Messer; UA: Schaubühne am Lehniner Platz Berlin
2012 / Märtyrer; UA: Schaubühne am Lehniner Platz Berlin
2000 / Parasiten; UA: Deutsches Schauspielhaus Hamburg
2010 / Perplex; UA: Schaubühne am Lehniner Platz Berlin
2008 / Der Stein; UA: Salzburger Festspiele / Koproduktion mit der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin
2005 / Turista; UA: Schaubühne Berlin

Märtyrer
Benjamin Südel geht nicht mehr zum Schwimmunterricht. Auf Nachfrage der Mutter führt er schließlich religiöse Gründe an. Sein überraschendes Coming Out als Christ untermauert er fortan neben seinem Bibelspruch auch mit Taten. In der nächsten Schwimmstunde springt er in voller Montur ins Wasser, im Sexualkundeunterricht zieht er sich nackt aus und die Ausführungen zur darwinschen Evolutionstheorie kommentiert er im Affenkostüm. Sein provokatives Verhalten führt ihn und die Biologielehrerin Frau Roth ein ums andere Mal vor den Rektor. Dieser wie auch der an der Schule unterrichtende Priester bringen jedoch Bennis verqueren Ansichten durchaus Verständnis entgegen und bald schon steht Frau Roth mit der Vermittlung dessen, was sie bisher für Konsenswerte hielt, allein auf weiter Flur. Benjamin dagegen gewinnt in dem Außenseiter Georg einen ersten ihm ergebenen Jünger und auch seine Klassenkameradin Lydia, die ihn zunächst abblitzen lässt, ist mehr und mehr von ihm angezogen.

Personen: Willy Batzler (Direktor) Erika Roth (Biologie, Chemie, Erdkunde) Markus Dörflinger (Geschichte, Sport) Pfarrer Dieter Menrath (Religion) Benjamin Südel (Schüler) Inge Südel (seine Mutter) Georg Hansen(Schüler) Lydia Weber (Schülerin).

– Auszug aus dem ausgewählten Stück Märtyrer
1. Entschuldigung
Südel: Deine Lehrerin hat angerufen. Nichts. Willst du mir was sagen?
Benjamin: Nein.
Südel: Warum können wir nicht mehr reden, so wie früher?
Benjamin: Wir konnten nie reden. Ich hab dich angelogen, damit du nicht traurig bist.
Südel: Deine Lehrerin sagt, du bist die letzten Wochen nicht zum.
Unterricht erschienen.
Benjamin: Das stimmt nicht. Nur zum Schwimmen nicht.
Südel: Warum?
Benjamin zuckt die Schultern.
Du hast anscheinend gesagt, du hast Nebenhöhlenentzündung.
Benjamin: Ich weiß.
Südel: Hast du Nebenhöhlenentzündung?
Benjamin zuckt die Schultern.
Warum erzählst du so was?
Benjamin zuckt die Schultern.
Sind es Drogen?
Benjamin schaut.
Nimmst du Drogen, Benjamin?
Benjamin lacht kurz.
Ich hab deiner Lehrerin versprechen müssen, dass du nächste
Woche wieder hingehst.
Benjamin: Ich geh nie wieder hin.
Südel: Warum? Was ist passiert?
Benjamin: Nichts.
Südel: Ärgern dich die andern Kinder?
Benjamin: Das sind keine Kinder. Schreibst du mir eine Entschuldigung?
Südel: Wahrscheinlich. Aber ich muss wissen, warum.
Benjamin zuckt die Schultern.
Was soll ich reinschreiben? Nebenhöhlen sinds nicht.
Benjamin: Ich finds halt eklig, warum muss ich das erklären?
Südel: Weil du willst, dass ich dir eine Entschuldigung schreibe.
Benjamin: Du verstehst mich eh nicht.
Südel: Hast du Angst zu ertrinken? Ich red mit dem Lehrer, vielleicht
lässt er dich am Rand schwimmen, dass du dich festhalten kannst,
wenn du untergehst.
Benjamin: Ich geh nicht unter.
Südel: Oder, dass dir dein Körper nicht gefällt.
Benjamin starrt sie an.
Das ist normal in deinem Alter. Du bist tatsächlich ziemlich bleich.
Benjamin: Ich bin nicht bleich.
Südel: Ich geb dir Geld, du gehst zur Höhensonne, nur klein wenig, dass
du nicht so käsig bist.
Benjamin: Mein Körper macht mir nichts.
Südel: Oder ist es sexuell? Schau, wir können drüber reden.
Benjamin: Sexuell?
Südel: In deinem Alter kriegen Jungen manchmal unkontrollierbare
Erektionen, ich kann mir vorstellen, dass das unangenehm ist vor
den andern.
Benjamin: Ich hab keine unkontrollierbaren Erektionen.
Südel: Du kannst mir so was sagen, ich hoffe, das weißt du.
Benjamin: Und dann schreibst du in die Entschuldigung: Mein Sohn kann
wegen unkontrollierbarer Erektionen nicht am Schwimmunterricht
teilnehmen.
Südel: Nein. Natürlich nicht. Ich schreib dann Nebenhöhlen.
Benjamin: Schreib rein: Aus religiösen Gründen.
Südel: Was?
Benjamin: Dass der Schwimmunterricht meine religiösen Gefühle verletzt.
Fertig.
Südel: Aber, Benjamin —
Benjamin: Dann ist das ein für allemal geklärt.
Südel: Benjamin, du hast keine religiösen Gefühle.
Benjamin: Wie willst du das wissen?
Südel: Es muss halbwegs wahrscheinlich sein, sonst mach ich mich
lächerlich.
Benjamin: Was ist daran lächerlich?
Südel: Ich schreib Nebenhöhle.
Benjamin: Religiöse Gefühle, sonst geb ichs nicht ab.
Südel: Du hast das irgendwo gelesen.
Benjamin: Na und? Wenn sie verletzt sind —
Südel: Nein.
Benjamin: —, meine religiösen Gefühle?
Südel: Nein, im Ernst. Man baut dir goldne Brücken, und du sagst solchen
Unsinn.
Benjamin: Andre Menschen sind auch religiös.
Südel: Ich schreib das nicht.
Benjamin: Da kannst du auch mal Respekt vor haben.
Südel: Wie auch immer.
Benjamin: Nein.
Südel: Du gehst dann nächste Woche schwimmen.
Benjamin: Wie ich gesagt habe.
Südel: Was?
Benjamin: Du verstehst mich nicht.