Martin Clausen_foto photo by Ben Jakon

 

Meine Texte entstehen mit und ohne begleitenden Theaterprozess. Neben dem Schreiben fließen sowohl überarbeitete Transkripte arrangierter Begegnungen als auch Improvisationsaufgaben für die Schauspieler in die Stücke ein. Texte folgen mitunter dem Prinzip eines abstrahierten Stammtischs. Am Anfang steht eine schwer zu beantwortende Frage (wie z.B. soll ich/soll man überhaupt etwas planen?) und ein persönliches Motiv. Auch wenn sie teilweise unverortet bleiben, weisen sie einen hohen Identifikationsgrad auf, der den Zuschauer in einem Spiel zwischen Heiterkeit und assoziativer Überforderung hält. Jargon, Wortschatz, hinterlegte menschliche Erfahrung werden wie in einer artifiziellen Vitrine präsentiert, in der der Realität erfahrenes und Abgelauschtes zum theatralen ready made wird, an dem sich der Zuschauer schmunzelnd wärmt.

Martin Clausen, 1973, studierte in Berlin Kulturwissenschaft und Alexander-Technik. Seit 2013 produziert er seine Inszenierungen am Hebbel am Ufer Berlin mit seiner Companie Martin Clausen und Kollegen. Er inszeniert, schreibt und spielt seit langer Zeit in der freien Szene wie im Stadttheater, Münchner Kammerspiele, Schlosstheater Celle, Schauspiel Köln, Theater Freiburg sowie am Theater an der Parkaue, wo seine für den Ikarus-Preis nominierte Inszenierung von Elizabeth Shaws Kinderbuch „Bettina bummelt“ nach über 100 Vorstellungen in der sechsten Spielzeit gezeigt wird. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Theater an der Parkaue ist für 2016 vorgesehen.
Neben seinen Gruppen arbeitet er mit bzw. für zahlreichen anderen freien Gruppen und Kollektiven.
Vom Sprechtheater kommend geriet er in den Berliner Sophiensaelen mit der Tanzszene in Berührung und übernahm den Text-Part bei der Company TWO FISH von 2000 bis 2011 (zusammen mit Angela Schubot). Viele Produktionen wurden auch international gezeigt. Die Texte wurden vielfach übersetzt, die Produktionen übertitelt oder in Englischer Sprache entwickelt und performt. 2008 veröffentlichte die Gruppe eine Auswahl ihrer Texte beim Berliner Fantom Verlag unter dem Titel „Ich hatte an diesem Abend auf eine dritte Person Lust“.

Halt mir meinen Platz frei, bis ich anders wieder da bin
Der Text des Stücks begibt sich an die Wurzeln von Veränderung und Verwandlung.
Körperliche und geistige Veränderungen standen Pate für den Text, der ein Ergebnis von Schreiben, Improvisation, Interview und Überschreiben ist.
In der Erstaufführung wurde der Text von zwei Spielern teilweise individuell, chorisch, im Dialog oder Dialoge von nur einem Spieler gesprochen.
Eine vom Text unabhängige Choreografie begleitete der Text parallel neben Schreien, Stöhnen, Lachen, Jammern und anderen Geräuschen.
Als sympathisch schlechte Naturimitationen oder als Kunstwerke, durch dessen Risse die Natur durchsuppt, durchlaufen die sprechenden Körper erinnernd eine Verwandlungsmühle. Sie oszilieren zwischen Individuum und Landschaft, Subjekt und Objekt und verhandeln unterschiedliche Möglichkeiten und Unfähigkeiten von Wandel. Eingebildeter Einfluss, zu lange gewartet zu haben oder Einflussnahme zum falschen Augenblick. Weltbilder stoßen unkommentiert aufeinander.
Das Besondere beim Wandel oder beim Verschwinden (von Gefühlen, Körpern und Gedanken) scheint sich an den Übergängen abzuzeichnen.
“Was befindet sich hinter der Tür?
-Hinter der grundsätzlichen Tür? Natürlich noch eine Tür. Und das wird dann immer so weitergedingst.”

Walking my dragon
Dieser kurze Text, eher eine Liste oder Sammlung persönlicher wie identifizierbarer Gefühle – spielt in einem Zwischenreich, ähnlich einem unverbundenen Parallelleben wie es Randexistenzen führen.
Bestehende menschliche Lebensformen tauchen in so unterschiedlicher Art auf, dass sie gänzlich unverbunden voneinander erscheinen. Ist das der Grund, weshalb wir immer wieder Gefahr laufen, unsere Aufmerksamkeit nur auf die selbe Weise an die selben Reize zu verschenken? Auf das Laute zu hören und das Grelle zu schauen.
Das längere Gedicht kann von einem oder mehreren Spielern performt werden. In seiner ursprünglichen Form war der Text zwischen mehreren Tanzsolos und einer Gruppenchoreografie von den beteiligten Performern teilweise individuell und chorisch an eine imaginäre Zuschauergruppe gerichtet, parallel zu einer einfachen Choreografie, die vor allem eine räumliche Veränderung der Spieler nach sich zog.
„Das blöde Dazugehören, das verschmiert mir alles. Man müste ausgestoßen werden, um alles besser erkennen zu können“

perfekt (gewesen)
Das Stück ist weniger eine Textfläche und beherbergt fünf namenlose Charaktere. Es beschäftigt sich mit unterschiedlichen Formen von Wiedereinfallen und Vergessen, Gewissheit und Verstörung.
Nach Szenen mehr oder weniger erfolgreichen gegenseitigen Befragens mündet das Stück in einem Chor intimer Versionen kollektiven Gedächnisses vergangener Epochen wie Vorstellungen von Mittelalter, Revolution, Nachkriegszeit, Urchristentum, Nationalsozialismus und Holocaust, um abschließend eine Vision, einen Alb-Traum des eigenen Abgeschafft werdens zu formulieren.
Perfekt (gewesen) erzählt von Ignoranz und Kontakt gegenüber erstarrten und sich im Wandel befindlichen Strukturen. Inwiefern berichten Fähig- oder Unfähigkeiten von der Beschäftigung mit Vergangenem von den Gründen, warum ich Unbekanntem, Fremdem Raum schenke oder verweigere.
Formen, etwas zu scheuen wechseln mit der Kraft, in ein tiefes Verständnis hineingelockt zu werden. Welche Berührungsängste zeigen sich als körperliche oder sprachliche Reaktion auf Unbequemes?
Zeitliche Distanzen verwandeln Geschehnisse in Blasses, Olles, Muffiges, Erhabenes, Ersehntes und Heiliges. Das betrifft merkwürdigerweise sowohl individuelle Leben als auch Bevölkerungen ganzer Länder.
„Ich stamme aus einer Zeit mit ganz viel Hall, überall. Und der war zwar künstlich und trotzdem fehlt er mit. Und ich fühle mich verarscht, obwohl ich s weiß.“