Kai Grehn

Im Anfang, so heißt es, war das Wort. Gesprochenes, nicht geschriebenes Wort. Durch Atem zum Leben erwecktes Wort. Mündliche Überlieferung. Von der Großmutter, die dem Enkel Lebensgeschichten erzählt (rhythmisch begleitet durch das Trommeln des Kindes auf seinem Bauch), bis zu dem Indianer, der einem Fremden erklärt, was mündliche Überlieferung für sein Volk bedeutet, indem er eine giftige Schlange ergreift und ihr den Kopf abbeißt; von alten bis zu neuen Liebesliedern – die Ausdrucksformen mündlicher Überlieferung sind vielleicht ebenso vielfältig wie die Erscheinungsformen des Lebens. Ich glaube an die Kraft der mündlichen Überlieferung. Und an das Theater und das Hörspiel, als zwei ihrer besonderen Spielarten.

Kai Grehn, geboren 1969 in Grevesmühlen, aufgewachsen in Berlin (Ost). Nach Arbeiten als Postzusteller, redaktioneller Mitarbeiter sowie als Regieassistent und Regisseur beim TanzTheater Skoronel, Studium der Theaterregie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.

Kai Grehn lebt als Autor und Regisseur in Berlin. Er ist Initiator und Veranstalter der Friedrichshagener Lesereihe Bobrowskis Mühle in Zusammenarbeit mit der Johannes-Bobrowski-Gesellschaft.

Zu seinen Veröffentlichungen gehören neben den beiden Prosabänden SCHWARZ. Reiseskizzen und FUNKEN oder: So glücklich wie wir ist kein Mensch unter der Sonne, Theaterstücke, Übersetzungen von William Blake, William S. Burroughs, Nick Cave, Walt Whitman und Antoine de Saint-Exupéry, sowie über 50 Hörspielarbeiten, für die er u. a. den Deutschen Hörbuchpreis, den Prix Marulić Spezialpreis und den Finalist Award des New York Festivals erhielt.

2016 wurde er mit dem erstmals vergebenen Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet.

Autorenhomepage: http://www.kaigrehn.de

DER BERG, ÜBER DEN KEIN VOGEL FLIEGT
(Besetzung variabel, mindestens 1 H)

“DER BERG, über den kein Vogel fliegt“ spielt in der Todeszone, in einer Höhe über 7000 Meter ü.d.M. Es ist der Text über einen Mann, der beim Besteigen des Berges auf eine ausgesetzte Felsterrasse stürzt und schwer verletzt gegen Schnee und Kälte, gegen Halluzinationen und Sauerstoffmangel, gegen Ausgeliefert- und Gefangensein ums Überleben kämpft.
Ausgehend von eigenen Erlebnissen während einer Himalaja-Expedition im Jahr 2004 entwickelt
der Autor ein sprachlich überhöhtes, philosophisch aufgeladenes und gänzlich unromantisches Bergsteiger-Drama. Nah an inneren wie äußeren Abgründen, von Auskühlung und Dehydrierung tödlich bedroht, gerät Grehns Verunglückter in erstaunliche existentielle Auseinandersetzungen mit realen wie eingebildeten Gesprächspartnern. Es geht um Grenzerfahrungen und -verschiebung, um die Faszination der Höhe und um eine Glückssuche jenseits alltäglicher Ebenen und Grenzen.

MU! oder PEOPLE MUST BE PUNISHED
(Besetzung variabel, mindestens 1 D, 3 H)

Täglich erscheinen Bob und Arthur vor dem großen Tor im Sperrgebiet. Täglich beobachten sie, wie es bei Sonnenaufgang geöffnet und zum Sonnenuntergang geschlossen wird, und täglich nehmen sie sich vor, den Türhüter, einen ZENturio, um Einlass zu bitten. Doch obwohl die Mittagssonne jeden Tag heißer auf die grauer werdenden Schädel zu brennen scheint, können sie sich nicht aufraffen, ihn anzusprechen. Stattdessen vertreiben sie sich die Zeit mit philosophischem Slapstick und dem Erzählen merkwürdiger Erinnerungen und Visionen. Gedanken an die Liebe werden wach, wenn die junge Mari mit einem Krug Wasser die Szene betritt… Als Bob und Arthur es endlich wagen, den ZENturio anzusprechen, erwartet sie das Unvorstellbare als letzte Enttäuschung.
„Mu!“ – der Titel bezieht sich auf ein Schlüsselwort aus der Zen-Philosophie, das die Leere bezeichnet – spielt mit den Topoi westlicher wie östlicher Weisheiten genauso wie mit Reminiszenzen an Kafka, Beckett, Cummings und Tarkowski. Vor allem aber ist Kai Grehns „Schmierenkomödie“ eine fulminante Vorlage für ein sehr diesseitiges Schauspielertheater:
„Der Weg nach draußen führt durch die Tür.  Warum nimmt niemand diesen Weg?“ (Konfuzius)