Katja Brunner, Autorin

Katja Brunner, Autorin

Das Theater als idealen Ort, Fragen zu stellen, Fragen stellen zu können, ihnen anständigen Hallraum zu gestatten in den Köpfen der Zuschauenden, in den Mägen der Spielenden, genug Luft, Raum, Zeit nochmal über die Retinae aller Beteiligten zu kraxeln, in den Sitzen aufzuwarten. Das Theater als Ort, an dem alle gleich werden, die hineingehen, an dem eine kollektive Erfahrung gemacht wird, dieses: Zusammen im Dunkeln allein. Die Verantwortung des Theaters als Ort, wo die Fragen spriessen dürfen, die Ambivalenzen, Widersprüche, ja, die Pathologien, die dürfen hier wohnen und den Mund aufmachen, nicht Ort der vernetzenden Übereinstimmung, nicht Ort der einschlägigen Antworten, nicht Ort virtueller Pseudogleichzeitigkeit. Dafür – unter anderem – habe ich eine grosse Zuneigung zu diesem Ort, glaube an ihn und das ist wohl zirka die halbe Miete, um dafür schreiben zu wollen.

Fabulamundi involved Katja Brunner in activities in Rome in the first edition of the project.

Katja Brunner, *1991 in Zürich, studierte Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Biel und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. 2012 nahm sie an den Werkstatttagen des Wiener Burgtheaters teil. Eine Einladung zum Heidelberger Stückemarkt folgt. 2013 gewinnt sie mit „von den beinen zu kurz“ den Mülheimer Dramatikerpreis und wird in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zur besten Nachwuchsautorin gewählt. In der Spielzeit 2014/2015 war Katja Brunner Hausautorin am Luzerner Theater, es entsteht „geister sind auch nur menschen“, nachgespielt 2017 am Schauspiel Leipzig (Regie: Claudia Bauer). 2016 erhält sie das Werkjahr der Stadt Zürich für einen Romanentwurf. Im Mai 2018 wird ihr neuestes Stück „Die Hand ist ein einsamer Jäger“ an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Ihre Texte wurden in diverse Sprachen übersetzt und ihre Stücke auf vier Kontinenten gespielt.

DIE HÖLLE IST AUCH NUR EINE SAUNA
Besetzung: variabel

Gott hat einfach keine Lust zu nähen. Sonst hätte er denen schon längst was übergezogen, diesen NUDISTEN.
Wann beginnt Leben und wozu? Der Text von Katja Brunner nimmt uns mit auf eine Höllenfahrt in die Gebärmutter als „grausigem Ort“, an dem der Schrecken und die Lust des Lebens ihren Anfang nehmen, steigt hinab ins Kellerverlies von der da unten (Ähnlichkeiten mit überlebenden Personen sind naheliegend) und überschreibt gegen jede herrschende Interpretationslogik andere überlieferte Opfergänge des weiblichen Geschlechts. Die zur Sprachlosigkeit Verdammten, allen voran Hermi, ein zerbeulter Hermaphrodit, bekommen mit der Sprache, im Sprechen, dem Erheben der Stimme ihre Existenzberechtigung zurück. Es ist eine OP am offenen Herzen einer Gesellschaft, deren strukturelle Macht, deren brutales Diktat der Normierung perverse Auswüchse in Kauf nimmt, andere versteckt, wegsperrt, unsichtbar werden lässt. Das sprachgewaltige Textkonvolut ist jedoch keine verbiesterte Anklage, sondern ein frivol-ironisches Kampftraining, subversive Gedankengymnastik für die Unbetrauerbaren, Nicht-Existenten unter uns. Auf der Strecke bleibt der „Universaldörfler“.

Uraufführung: 08.10.2014, Theater Rampe Stuttgart, Regie: Marie Bues
Österreichische Erstaufführung: 14.10.2014, KosmosTheater , Saal, Regie: Tanja Witzmann

GEISTER SIND AUCH NUR MENSCHEN
Besetzung: variabel

Die Heime, der ihrer Heimat beraubten Alten, Kranken und Unberührten sind Schauplatz im neuen Text von Katja Brunner. Es ist, so die Autorin im Vorwort, ein SPRECHEN OHNE ZUKUNFT und daher „freier als manch anderes Sprechen“. Dieses Sprechen nimmt nicht Platz vor der Bettkante, sondern wühlt sich hinein in die mit Exkrementen und Wundschorf, Schläuchen und Kathetern verzierten Bettstätten der zum Liegen Verdammten. Abgeschirmt von einer Welt, der sie sich tatkräftig hingaben, betrachten sie verwundert die Scherben ihres gutbürgerlichen Lebens: Erlebtes steht neben unwiederbringlich Verpasstem, Träume mutieren zu Alpträumen. Der durch einen Schlaganfall versehrte Körper wird von seiner Bewohnerin als vergessener Handschuh empfunden, einem anderen wird wegen sexueller Übergriffigkeit am weiblichen Pflegepersonal der Rauswurf angedroht. Von Berührungen durch Pflegerhand zugefügte Hämatome werden im allseitigen Einvernehmen als „Zeichen der Zuneigung“ befunden. Kein Blatt mehr nehmen die Alten vor die ausgetrockneten Münder. Schwall um Schwall bricht es ungehört aus ihnen heraus. Am Ende gewinnt der Krebs die Oberhand. Gebannt lauschen sie dem inwendigen Wachsen des Tumors bis ihre Kiefer runterklappen. „geister sind auch nur menschen“ ist ein Text für und von den Todgeweihten, die rundumversorgt im Heim ihre auf kapitalistische Betriebsamkeit getrimmten Nachkommen nicht behindern sollen; es ist ein pralles Drama, das die Sterbenden in die Mitte einer Gesellschaft, die sie professionell ausgrenzt, zurückholt.

Uraufführung Luzerner Theater 2015, Regie: Heike M. Goetze, Deutsche Erstaufführung: schauspiel Leipzig, März 2017

Die Hölle ist auch nur eine Sauna
Wann beginnt Leben und wozu? Katja Brunner lädt auf eine Höllenfahrt in die Gebärmutter als »grausigem Ort «ein. Das Tun und Treiben im Kellerverlies der Elisabeth Fritzl und andere überlieferte Opfergänge des weiblichen Geschlechts werden gegen jede herrschende Interpretationslogik überschrieben. Die zur Sprachlosigkeit verdammten Figuren wie Hermi, ein zerbeulter Hermaphrodit, kämpfen um ihre Daseinsberechtigung. Es ist das genaue Hinschauen auf eine Gesellschaft, die dank ihrer strukturellen Macht und brutalen Normierung perverser Auswüchse, andere wegsperrt und unsichtbar werden lässt. Das sprachgewaltige Textkonvolut ist ein frivol-ironisches Kampftraining für all die Nicht-Existenten unter uns. die hölle ist auch nur eine sauna.

– Auszug aus dem ausgewählten Stück Die Hölle ist auch nur eine Sauna
Für diesen Text und alle in ihm zur Sprache Kommenden gilt

1.) DIE WELT ALS TEIG IN DEN MÜNDERN DER SPRECHENDEN
2.) SPRECHEN IST DIE LETZTE BLUSE / DAS LETZTE HEMD, DAS SIE HABEN

zur Sprache gehen:
die da unten
Der Hermaphrodit
Die Amazone
Das Mädchen
und weitere Universaldörfler (immer da und nie weg und nie müd und nie satt.)

Voranmerkungen, die man sich zu Gemüte führen kann
(VON DER TRAUER SIND SIE NICHT GEBÜCKT, DIE TRAUER HAT IHNEN NICHT VIEL MEHR ANGETAN ALS ABGEKAUTE FINGERNÄGEL, ODER EIN ZWEI STUNDEN WENIGER SCHLAF PRO NACHT ODER TAG.)
DIE DA UNTEN IST IM HAUSEIGENEN VERLIES. DAS IST ZIEMLICH PRAKTISCH, WEIL DAS VERLIES IST EINGEBAUT INS HAUS, IN DEM DER VATER WOHNT, DAS BEDEUTET ES.
DER VATER WOHNT MIT DER FRAU NUMMER 1 UND MIT DEN KINDERN 2 BIS 4 IN DIESEM HAUS (ÜBER DER ERDE), UNTER DER ERDE WOHNT DIE DA UNTEN MIT KINDERN 1 BIS 12. (VON 1 BIS 12 SIND NOCH 2, 3 SOWIE 5, 8 UND 11 VORHANDEN. DIE ANDEREN VERDAMPFTEN, WURDEN ENTWEDER GEGESSEN ODER ZUR ADOPTION FREIGEGEBEN.)
AUSSERHALB DES HAUSES GIBT ES DIE ÜBRIGBLEIBENDEN AKA DIE SPEKULIERENDEN.
AUSSERHALB DES HAUSES IST DAS UNIVERSALDORF.
DAS UNIVERSALDORF befindet sich entweder in a) Deutschland; b) der Schweiz; c) Österreich. Das Universaldorf ist eine mittelgrosse Stadt, die über alles verfügt, was eine mittelgrosse Stadt jeweils so beinhaltet: Mehrere Schulen, Spitäler, Friedhöfe, eine Ausgangsmeile (oder auch zwei), Badestellen, Gotteshäuser verschiedener Religionen, Hausbesetzer, XY, ach, ihr kennt es selbst.
Das Universaldorf also derart universal, es könnte gar im ganzen deutschsprachigen Raum sein. Ausserdem sind die Menschen, die im Universaldorf leben, die Universalmenschen. Auch genannt: Universaldörfler.

WIE SICH DIE UNIVERSALDÖRFLER DAS GEMEINHIN SO VORSTELLEN
– Die Schlange, was sagte sie
– Wie meinst du, was sagte die Schlange
– Na, was die Schlange zu Eva sagte
– Im Schweisse deines Angesichts bist du eine dreckige Ungehorsamkeit
– Nein
– Iss, beiss rein
– Kleiner Apfel, kleines Äpfelchen, so ein kleines Äpfelchen und so ein grosser Mensch, schaden tut das bestimmt nicht, ist sicherlich ekstatischer als alles, was mit dem lieben Adam
– ER isst sie dauernd, ER frühstückt so
– Was hätte denn die Schlange davon, dass die Eva reinbiss
– Die Schlange mafiös mit dem Schöpfer verkeilt
– Die Schlange hatte einfach keine Lust mehr, tagtäglich diese Nudisten anschauen zu müssen
– Also hat sie die List ausprobiert, es war jetzt auch nicht so, als ob sies nur mit den Früchte tragenden Bäumen ausprobiert hätte, damit die endlich die Scham kennenlernen, die hat auch rumgeschimpft, Fotos gemacht, die dann an die Mauer des Gartens getackert, um ihnen die Hässlichkeit ihrer Geschlechtsteile begreiflich zu machen
– Nichts half
– Nein, nichts linderte die Mühsal der Schlange, keine ihrer Bestrebungen belohnt, keine Gebete erhört
– Sie führte Adam zum Fluss, damit er sich in der Wasseroberfläche spiegle und sich so aus einer Aussenperspektive mal wahrnehme und sähe:
– Er solle sich schämen seiner Genitalien, er solle sich schämen seiner Statur, deformierte Affen, das dachte die Schlange
– Und was tat er
– Ach, was tat er
– Er sah sich gar überhaupt nicht, sprang sofort ins Wasser, so reizte ihn der Anblick
– Ein junger Hund
– Die Schlange dachte bei sich: Und ich hab nicht mal ein Stöckchen geworfen-
– Alle Bestrebungen für nichts
– Bis sie eines Tages an den BAUM dachte, OH, DEN BAUM, die Frucht an diesem Baum, OH JA, die heisst doch nicht umsonst die verbotene Frucht, dachte sich die Schlange
– Oder vielleicht versuchte sie, sich alles zu erklären, wie spielend, wie beiläufig, zum Beispiel
– Gott hat einfach keine Lust, zu nähen. Sonst hätt er denen schon längst was übergezogen, diesen NUDISTEN. Das dachte die Schlange.
– Auch dachte die Schlange häufig: Was dachte Gott, als er die Frau erschuf
– Der Zweck heiligt die Mittel
– Wenn es überhaupt je einen Gott gegeben hat, dann sagte er in diesem Moment
– Tschüssi tschaudi tschau
– Servus
– Gott war noch nie Österreicher.